Unternehmen, die ihre Einstellungsprozesse nicht strukturieren, verlieren viel Geld.
Seit einem Jahr arbeitet Andreas Gintaut beim Software-Entwickler Easysoft. Testautomation interessierte den 47-jährigen Informatiker und nach gut zwei Jahren als Einzelkämpfer freute er sich über mehr Teamarbeit. Auf seine Bewerbung bekam er postwendend eine Email mit Fragen, die in einem klassischen Bewerbungsgespräch gestellt werden: private und berufliche Ziele, Freizeitaktivitäten und ehrenamtliches Engagement und was ihn an der IT-Schmiede konkret interessiert. „Letzteres hat mich eher beruhigt“, erzählt der gebürtige Groß-Gerauer, „offensichtlich wollte das Unternehmen keinen Fachidioten, sondern den gesamten Mensch.“ Die Reaktionen der Bewerber auf diese Mail sind unterschiedlich, so Easysoft-Geschäftsführer Andreas Nau. Manche fragen, warum sie das beantworten sollen, andere setzen sich intensiv damit auseinander. Seit zwei Jahren strukturiert der Spezialist für Software-gestützte Seminarorganisation und Personalentwicklung seine Einstellungsprozesse – mit dem Ergebnis, dass sich das schwäbische Unternehmen seitdem von keinem Neuen mehr getrennt hat.
Von den insgesamt 18 Bewerbern luden die Baden-Württemberger zunächst zwei Kandidaten zu einem ersten Gespräch ein. Doch beide entsprachen nicht den Erwartungen. „Es muss wirklich passen“, sagt Nau, „durchwachsene Personallösungen bringen das Unternehmen nicht voran und sorgen eher für Unruhe.“ Nach der zweiten Runde kam dann Andreas Gintaut zum Zug, nachdem auch das achtköpfige Entwicklungsteam den Top-Kandidaten zu einem ersten Kennenlernen traf. Damit gehört der IT-Dienstleister zu einem Drittel deutscher Unternehmen, die nach einer festgelegten Prozedur einstellen. Zwar folgen immerhin 80 Prozent deutscher Unternehmen definierten Standards, wenn es um die Stellenausschreibung geht. Doch 44 Prozent entwickeln keine Kriterien für die Vorauswahl der Bewerber und bei 70 Prozent erfolgt der Rekrutierungsprozess „frei Schnauze“. Das ist das Ergebnis einer Studie des Personaldienstleisters Hays.
Mittelstandsberater Jörg Knoblauch ist eher positiv überrascht: „Ich hätte geschätzt, dass höchstens jedes zehnte Unternehmen seine Einstellungsprozesse strukturiert.“ Der Autor des Buches „Die Personalfalle“ ist Verfechter eines konsequenten neunstufigen Ablaufes, bei dem etwa vorab ein Telefoninterview mit den Kandidaten geführt oder Referenzen bei vorherigen Chefs eingeholt werden. Das mag im Einzelfall zunächst mehr Zeit kosten, doch etliche Bewerber fallen frühzeitig durch. So reduziert sich die Anzahl der Bewerbungsgespräche, die Personaler noch zu führen haben. Doch das ist für den Personalguru nicht entscheidet: „Wer engagierte Mitarbeiter gewinnen will, muss ihnen auch entsprechende Wertschätzung entgegenbringen.“ Außerdem sei es viel teurer nach einer sechsmonatigen Probezeit festzustellen, dass der Neue doch nicht die geeignete Person für die Aufgabe sei. Das könne leicht 15 Monatsgehälter kosten, so der Geschäftsführer von Tempus-Consulting: „Erfolgreiche Unternehmer müssen mehr in die systematische Personalauswahl investieren.“ Ganz ähnlich sieht das Barbara Lang, bei Hays für Rekrutierungsprozess-Lösungen verantwortlich. Denn obwohl laut Studie fast 60 Prozent der Unternehmen den Bewerbern schon während der Rekrutierung beweisen wollen, dass sie ein sehr guter Arbeitgeber sind, entwickelt lediglich ein Drittel einen Prozess mit klar verteilten Verantwortlichkeiten. „Da kann in der Kommunikation mit dem Kandidaten schnell mal was schiefgehen“, sagt sie. Denn fachlich kompetente und engagierte Bewerber legen Wert darauf, wie sich das Unternehmen präsentiert. In einem lauen Laden wollen die richtig Guten nicht arbeiten. Die Umformtechnik Radebeul (UFT) folgt weitestgehend dem neunstufigen Einstellungsprozess von Knoblauch.
Um mehr über die Persönlichkeit der Bewerber zu erfahren, telefoniert Anke Weber nach einer ersten Vorauswahl mit allen verbliebenen Bewerbern. Im Schnitt benötigt die UFT-Personalerin dafür eine Viertelstunde. Wenn beispielsweise Führungskräfte kaum Schwächen zugeben oder rumdrucksen, wie sie mit ihren Grenzen umgehen, ist die Sächsin wenig begeistert. Als Zulieferer mehrerer Dax-Unternehmen will die UFT sich derartige Nachlässigkeiten nicht erlauben. Inhaber Stephan Schneider: „Wir punkten durch Innovation und Schnelligkeit, da benötigen wir begeisternde Führungskräfte, die dafür sorgen, dass das Unternehmen Technologieführer für geschmiedetes Aluminium bleibt. „Bei der Umformtechnik werden die persönlichen Interviews vor allem von den Bereichsleitern geführt, denn sie können am besten beurteilen, ob der potentielle Kollege in ein bestimmtes Team passt. Ist das nicht der Fall, ist sich Schneider mit dem Easysoft-Kollegen Nau einig: „Ehe wir einen mittelmäßigen Mitarbeiter einstellen, lassen wir die Stelle zunächst offen.“
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